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 Fiesko und Haftstrafe
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 Wolfgang Heribert von Dalberg. Quelle: Wikimedia
 

    
Nun war ich stolzer Besitzer eines Honorars von 44 Gulden, das Dalberg mir vor meiner Abreise gezahlt hatte, und bereits im Februar 1782 war die erste anonyme Auflage meines Buches mit 800 Exemplaren vergriffen und musste durch eine zweite ersetzt werden, in der ich dann als Verfasser namentlich erwähnt wurde.

Mein Versteckspiel mit dem Herzog hatte bisher bestens funktioniert. Niemandem war meine Abwesenheit aufgefallen, zumal ich nur meine eng vertrauten Kameraden über meine heimliche Reise informiert hatte. Nach meiner Rückkehr war mir mein Umfeld noch unerträglicher geworden, und das spießbürgerliche Stuttgart widerte mich an. Ich sah mich nunmehr auf zwei Säulen stehen. Die eine war meine militärische Arbeit als Regimentsmedikus mit all ihren negativen alltäglichen Verbundenheiten, die andere war die neue Welt in Mannheim, zu deren Eroberung ich mich seit der Uraufführung meines Dramas berufen fühlte. Schließlich hatte ich die vagen Versprechungen Dalbergs für bare Münze genommen, vielleicht als Theaterdichter engagiert zu werden. So fühlte ich die erste Säule des Militärs allmählich unter meinem Fuße zerbröckeln. Es war wie ein Spagat, der täglich zu vollziehen war, wobei ich darauf achten musste, dass es mich dabei nicht gänzlich auseinander riss. Ich schrieb also aus dieser inneren Zerrissenheit heraus mit den größten Erwartungen an den Intendanten Dalberg. Ich erklärte ihm, dass ich hier in Stuttgart nichts werden könne, und dass nur er mein Schicksal in seinen Händen hielt, worin ich mich ihm ganz zu geben gedachte. Ich wartete und wartete, erhielt  jedoch keine Antwort.
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Andrea Doria, Gemälde von Sebastiano del Piombo (ca. 1526) Quelle: Wikipedia
 



Trotz aller Unklarheiten hatte ich mich sofort nach meiner Rückkehr aus Mannheim für das Schreiben eines neuen Stückes entschieden, welches vom historischen Inhalt her bereits auf der Karlsschule mein Interesse geweckt hatte. Die Verschwörung des Fiesko sollte Die Räuber an Dramaturgie bei weitem überragen. So versuchte ich, mir aus der öffentlichen Bibliothek Bücher über das Jahr 1547 und dem tyrannischen Dogen Andrea Doria zu beschaffen. Ich erkundigte mich genauestens nach Schauplatz und Zeit der Geschichte, in der die Verschwörung in Genua gegen ihn begann. Nachdem ich genug gesammelt und geordnet hatte, versuchte ich das Ganze in einzelne Szenen und Akte zu unterteilen und begab mich sodann an die Ausarbeitung derselben.
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Nationaltheater Mannheim und Schiller-Denkmal.  Quelle: Wikipedia
 



Ich hatte schon einen großen Teil fertiggestellt, als mich die Nachricht erreichte, ich hätte auf Geheiß des Fürsten eine medizinische Abhandlung zu schreiben, um endlich meinen Doktorgrad zu erhalten. Diese willkürliche Anordnung machte mich wütend. Hatte ich dem Herzog nicht schon genügend Arbeiten dieser Art präsentiert?! Nicht im Geringsten dachte ich daran, dies noch einmal zu wiederholen, zumal ich viel wichtigere Dinge zu tun gedachte.
 
Über meinen Freund Petersen war es mir vergönnt, dank der Unterstützung von Professor Abel, im Frühjahr 1782 eine Zeitschrift mit dem Namen Württembergisches Repertorium der Literatur zu veröffentlichen, in der neben zahlreichen Aufsätzen auch verschiedene ausführliche Rezensionen über Die Räuber von mir selbst geschrieben worden waren.
 
Die Anthologie auf das Jahr 1782 erschien ebenfalls zur selben Zeit, in der man den deutlichen Einfluss meines Dichterkollegen Schubart spüren konnte, welchen ich bereits seit Jahren verehrte und aufgrund seines bedauernswerten Zustandes mehr als bemitleidete.
 
Die Anthologie beinhaltete eine anonyme Sammlung von Gedichten, an denen ich maßgeblichen Anteil hatte.

 Friedrich Schiller verlässt nach einer Aufführung im Mai 1782 in Begleitung von Henriette von Wolzogen und Luise Vischer das Mannheimer Theater und wird Gegenstand einer Ovation des Publikums.
 


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Gemälde von Friedrich August Pecht (1865). Original: Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim
 

Da mehrere Stellen der Räuber unmissverständlich den Herzog und dessen Umgebung darstellten, und auch einige der Gedichte sich sehr wohl darauf bezogen, tat dieser die Werke als revolutionäre Auswüchse ab. Als der Herzog schließlich erfuhr, dass der Verfasser dieser sittlich bedenklichen Schriften sein eigenes Geschöpf der Karlsschule war, ermahnte er mich, ich solle ihm meine poetischen Werke zuvor zur Zensur vorlegen. Mein wachsender Ruhm wurde ihm geradezu unheimlich, und als ich mich weigerte, seinen Ermahnungen Folge zu leisten, zerschnitt dies auch sein letztes Wohlwollen, was ich später zu spüren bekommen sollte.
 
Obwohl ich gerade erst mein erstes Honorar nach Hause getragen hatte, schwand es doch schneller als gedacht, denn die Veröffentlichungen kosteten mich meine ganze Barschaft, und ich war außerdem gezwungen, meinen Schuldenberg erneut auf 200 Gulden zu erhöhen.
 
Doch Mannheim und das Theater waren nicht vergessen! War alles nur ein Traum, der nach dem Erwachen ausgelöscht war? Noch hatte ich den wilden Applaus des Publikums und die Versprechungen Dalbergs in den Ohren. Nein, ich musste es noch einmal wagen! Es drängte mich, mit Dalberg persönlich zu sprechen, und auch eine weitere Aufführung meines Stückes wollte ich mir ansehen.
 
Entschlossen zur Reise begann ich deren Vorbereitung und führte den Plan aus, als der Herzog Ende Mai 1782 abwesend war. Mein Kommandant Oberst von Rau war eingeweiht und billigte die heimliche Reise - wenn auch mit einem flauen Gefühl im Magen.
 
Zu dem Kreise meiner ersten Verehrerinnen gehörten damals auch Henriette von Wolzogen, mit der ich durch ihre vier Söhne, ebenfalls Insassen der Karlsschule, bekannt gemacht worden war, und auch meine bereits zuvor beschriebene Zimmerwirtin Vischer, die ich in meiner Laura-Dichtung verewigt hatte, zählte dazu.
 
Mit diesen beiden Frauen verbrachte ich nun einige Tage in Mannheim, und obwohl mein Stück in diesen Tagen nicht aufgeführt werden konnte, weil es an Schauspielern fehlte, schien die Reise von Erfolg gekrönt zu sein, denn Dalberg bekräftigte mit Handschlag seine Absicht, mich an seinem Theater anzustellen, wenn ich mich von Stuttgart freimachen könnte.
 
Allein der Gedanke, dass ich nach meiner Rückkehr in Württemberg so tun müsse, als sei nichts geschehen, bereitete mir Unbehagen. Ich verfiel bereits auf der Heimreise in eine dunkle Stimmung. Meine weibliche Begleitung gelobte Stillschweigen über unser Abenteuer zu wahren, war jedoch derart begeistert von der Reise, dass dies nicht lange anhalten sollte.
 
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Schloss Hohenheim. Quelle: Wikipedia
 



Zurück in Stuttgart, zog ich mich deprimiert mit Fieber und Schüttelfrost in mein Quartier zurück. Nur alleine wollte ich sein. Meine beschränkte Welt hatte mich wieder in ihren Klauen, und der Alltag griff unerbittlich nach mir. Aus dieser Stimmung heraus schrieb ich eine Danksagung an Dalberg und schilderte ihm die Traurigkeit meines Daseins in Schwaben.
 
Wieder zerriss es mich schmerzhafter als je zuvor. Dort in Mannheim hatte man mich gefeiert, doch hier war ich ein Niemand in des Herzogs Frondienst.
 
Einige Tage vergingen, dann wurde ich plötzlich vom Herzog nach Hohenheim befohlen. Welche Hintergründe dieser Befehl hatte, ahnte ich damals nicht.
 
Ich traf mit gemischten Gefühlen, teils ängstlich, teils neugierig, in Hohenheim ein und wurde vom Herzog freundlich empfangen. Seine Freundlichkeit hatte etwas Fremdes und gab mir zu denken. Wohl bezog ich sie auf die Tatsache, dass er hier mit seiner Franziska turtelte und deshalb guter Dinge sei. Wie ich mich irrte!
 
Die Unterhaltung erwies sich als Ruhe vor dem Sturm. Aufgrund der Redseligkeit der „Vischerin“ war dem Herzog nämlich mittlerweile meine heimliche Reise nach Mannheim zugetragen worden. Er war überzeugt davon, dass mein Vorgesetzter davon gewusst haben müsse.
 
Was blieb mir anderes übrig, als die Reise zuzugeben!? Meinem Regimentskommandeur hatte ich versprochen, ihn aus allem raus zu halten, wenn meine Abwesenheit bekannt würde. Deshalb verteidigte ich dessen Unschuld vehement vor dem Herzog. Ich hätte mich zuvor krank gemeldet, gab ich an, und sei dann gereist, log ich weiter. Meine Lügen durchschauend wurde der Herzog erst richtig wütend. Er befahl mir, mich ohne Umschweife bei der Hauptwache in Stuttgart zu melden, meinen Degen abzuliefern und vierzehn Tage Haft abzusitzen, wegen unerlaubter Reise ins Ausland.
 
Sogleich machte ich mich auf den Weg, um meine Strafe anzutreten, schrieb jedoch zuvor noch einmal an Dalberg und berichtete ihm von meiner misslichen Lage. Ich bat ihn, er möge doch beim Herzog Karl Eugen ein gutes Wort für mich einlegen, sonst bliebe mir nichts als die Flucht aus dessen Herrschaftsgebiet.
Tagelang wartete ich vergebens auf eine Antwort, denn Dalberg wollte sich keinesfalls mit dem Herzog überwerfen. Während ich meine Haftstrafe absaß, ließ mich sein Schweigen in tiefe Depressionen fallen. Endlich wieder entlassen, folgte auch schon das nächste Unglück.

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Schiller besucht Schubart auf Hohenasperg. Lithographie. Quelle: Wikimedia
 



Ich wurde erneut vor den Herzog zitiert, der bereits vor Wut schäumte. Nun erfuhr ich, dass aufgrund einer Textstelle in meinen Räubern internationale Verwicklungen drohten. Der bestehende Frieden mit der Schweiz schien einen Riss bekommen zu haben, weil die Schweizer die Worte:“...reis’ Du ins Graubündtner Land, das ist das Athen der heutigen Gauner“, sehr persönlich genommen hatten.
 
Der Herzog tobte und verbot mir bei Androhung von Festungshaft jedes weitere poetische Schreiben. Das Wort ‘Festungshaft’ nahm mir die Farbe aus dem Gesicht. Sofort dachte ich an Schubart, den ich mehrmals in der Haft auf Hohenasperg besucht hatte, und der völlig isoliert auf den unbestimmten Tag seiner Entlassung wartete.
 
Nachdem ich den ersten Schock überwunden hatte, versuchte ich zu schlichten und zu retten, weil ich meine letzte Möglichkeit schwinden sah, hier in Württemberg weiterleben zu können. Ich schrieb an den Herzog, so unterwürfig und gehorsam wie ich nur konnte, und bat ihn inständig weiter schreiben zu dürfen, auch unter scharfer Zensur.
 
Doch der Herzog ließ sich nicht bitten. Nein, nicht einmal lesen wollte er mein Gesuch und verbot mir unter Strafandrohung ein weiteres zu verfassen.
Was mir blieb, war die Flucht aus der ungeliebten Heimat. Meine Zukunft zeigte sich wie eine weiße Landkarte, deren noch verborgene Wege ich mit Gottes Hilfe sicher finden sollte.
                                                                                                                                
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 Festung Hohen Asperg auf dem Weg von dem Dorfe Möglingen. Radierung, koloriert. (um 1820). Ludwigsburg, Heimatmuseum, Inv.Nr. 12. Quelle: Wikipedia
 


                                                
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