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 Henriette von Arnim
 Henriette von Arnim

Henriette von Arnim. Schattenriss.
 



In der Dresdener Zeit besuchte ich fast täglich meine Freunde, doch auch Einladungen zu anderen Ereignissen folgte ich häufig. So empfing die mit mir befreundete Schauspielerin Sophie Albrecht zahlreiche Besucher der gehobenen Gesellschaft.
 
Auf einem dieser Empfänge erschien auch die Witwe eines pensionierten sächsischen Offiziers, Frau von Arnim, begleitet von ihren beiden erwachsenen Töchtern. Henriette, die ältere, fiel mir durch ihre außergewöhnliche Schönheit sofort auf. Sie war schwarzhaarig, mit üppiger Lockenpracht, und als sie vor mir stand, und ich in ihre dunklen Augen schaute, spürte ich die Flamme der Leidenschaft in mir auflodern. Doch es sollte noch eine Weile dauern, bis ich sie wiedersehen durfte.
 
Körner verbrachte die Weihnachtstage gemeinsam mit seiner Frau und Dora Stock in Leipzig und wollte erst Anfang Januar nach Dresden zurückkehren. In dieser Zeit blieb ich zusammen mit Huber in Körners Wohnung in Dresden. Unser freundschaftliches Verhältnis war seit dem Frühjahr getrübt. Ich hatte Dinge an Göschen ausgeplaudert, die dieser nicht wissen sollte. Hubert hatte nämlich unlängst geplant, den Verleger zu wechseln und war entschlossen, Göschen seine Romanübersetzung nicht mehr anzubieten. Seitdem war unser Verhältnis etwas unterkühlt, und ich bemerkte seine zunehmende Gleichgültigkeit mir gegenüber.
 
Ohne Körner und die „Weiberchen“ konnte ich mich an nichts erfreuen. Sie fehlten mir sehr, und ich fragte mich selber wie das noch enden sollte. Insgeheim machte ich ihnen Vorwürfe, weil ich nicht verstand, warum sie mich so lange alleine ließen, wo sie doch genau wussten, dass ich ohne sie nicht mehr leben wollte. Die Abhängigkeit, die ich fühlte, tat sehr weh und machte mir Angst.
 
Egal wohin ich ging, die Leere in meinem Herzen folgte mir. Das Gleichgewicht der Gefühle zwischen mir und meinen Freunden war gewaltig auseinander geraten, brauchte ich sie doch viel mehr, als sie mich. Mein Bild würde viel früher in ihnen erlöschen, als das ihrige in mir. Diese trüben Tage machten meinem Herzen klar, dass ich immer nur ein Gast bleiben würde, nicht mehr und nicht weniger! Meine Neigung zur Hypochondrie steigerte sich, und ich zerfloss in zermürbendem Selbstmitleid.
 
Zwischenzeitlich hatte ich Charlotte von Kalb geschrieben und erwartete voller Ungeduld ihre Nachricht. Eigentlich wollte ich mein Vorhaben, sie zu besuchen, schon lange in die Tat umsetzen, doch wann dies sein sollte und ob überhaupt, die Entscheidung schob ich im Moment weit von mir. 
 
Endlich hatte ich im Februar 1787 Gelegenheit, Henriette von Arnim wieder zu sehen und ihr auf einem Maskenball näher zu kommen.
 
Seitdem hatte ich Zutritt zu ihrem Hause, und ich folgte ihrer Weisung, auf das Licht in gewissen Fenstern zu achten, denn wenn dies brannte, befand sie sich nicht alleine, sondern in Familiengesellschaft.
 
Ich überhörte die Warnungen meiner Freunde, die behaupteten, das Licht sei dazu da, mich vom Hause fernzuhalten, weil dann andere Bewerber von der Mutter empfangen wurden, die der Tochter Besseres zu bieten hatten, als ich. Die intrigante Mutter missbrauche meine Leidenschaft zur Befriedigung ihrer Eitelkeit und verfolge nur ihre eigennützigen Zwecke. Es schmeichelte ihr, dass ein „großer Dichter“ wie ich, um ihre schöne Tochter buhlte, die dadurch einen noch größeren „Marktwert“ für sie erzielen konnte.
 
Meine Freunde meinten es gut mit mir, als sie sagten, dass Henriette von Arnim mir nur deshalb schöne Augen machen würde. Ihre Blicke würden jedoch nicht im Geringsten erfüllen, worauf sie mir Hoffnungen machte. Doch gerade ihre Augen waren es, die mich magisch anzogen und festhielten.
 
Doch damit nicht genug. Ich war derart fasziniert von Henriette, dass ich mir von Göschen einen Vorschuss auf den Don Carlos geben ließ, um ihr wertvolle Geschenke zu machen, und auch Bargeld entlockte sie mir, welches ich mir zuvor von einem Wucherer lieh.
 
Sie hatte mir mit aller Macht den Kopf verdreht und zwar so sehr, dass ich ihr ein blaues Band entwendete, welches ich nun ständig des Nachts um meine Zipfelmütze geschlungen trug. Da ich ohne darüber nachzudenken manchmal in diesem Aufzug am Fenster stand, bot ich den zufällig hinaufschauenden Leuten einen recht amüsanten Anblick.
 
Die beiden Heiratskandidaten, die bei Henriettes Mutter anstanden, waren ein Lebemann und ein jüdischer Bankier. Beide hatten Vermögen, und die Mutter wartete nun auf den bestmöglichen Antrag.
 
In mir wuchs die Eifersucht, zumal ich mit diesen Männern äußerlich nicht mithalten konnte. Meine gewöhnliche Kleidung bestand aus einem grauen Rock, und mein Schönheitssinn war bei allem anderen ebenfalls nicht sehr ausgeprägt.
 
So war ich nicht gerade eine reizvoll gepflegte Erscheinung. Der ständige Gebrauch des Stanioltabaks tat sein Übriges. Außerdem hatte ich die Angewohnheit stets mit gesenktem Haupt und tief in Gedanken umher zu laufen, was ebenfalls nicht gerade ansprechend wirkte.
 
Körner und die übrigen Freunde versuchten lange Zeit, mich aus dieser misslichen Situation herauszuholen. Aber durch den Schleier des Verliebtseins konnten so schnell keine unangenehmen Wahrheiten dringen. So dauerte es zwei Monate, bis ich mich, nach einem heftigen Streit mit der offenbar eifersüchtigen Minna, von Körner dazu überreden ließ, den Frühling im nahe gelegenen Tharandt zu verbringen.
 
Dort langweilte ich mich, denn außer englischem Bier gab es hier nur wenig Zerstreuung. Auf meinen Wunsch hin und auf Vorschlag der "Weiberchen", schickte mir Körner zwei anzügliche Werke: Den „Werther“ und die „Liaisons dangereuses“, doch ich wollte den Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstehen, der sich in dieser Lektüre verbarg.
 
Es schneite und hagelte unentwegt. Aprilstürme tobten um das Haus, dass ich befürchtete, Türen und Fenster würden aus den Angeln gehoben. Tagelang konnte ich das Zimmer nicht verlassen. Ich war deprimiert, zumal ich Henriette nicht vergessen konnte.
 
Meine Freunde fehlten mir, und es kam das Einsamkeitsgefühl wieder, das ich schon so oft in meinem Leben verspürt hatte. Mehr als verlassen kam ich mir vor.
 
Als die Stürme nachließen und das Wetter sich besserte, schweifte ich ein wenig in den Bergen umher, doch der Boden war so morastig, dass ich umkehren musste. Mir blieb nur mein karger Schlafraum, in dem ich umher lief wie ein Tiger im Käfer, manches Mal so laut, dass meine Wirtsleute ängstlich anklopften und fragten, ob alles in Ordnung sei.
 
Völlig unverhofft erschien Frau von Arnim mit ihrer Tochter Ende April in Tharandt, und auch einer meiner Nebenbuhler, der Graf Waldstein, gesellte sich dazu. Was nun kam, waren lange unergiebige Aussprachen, unterbrochen von Waldsteins Liebesschwüren.
 
Da Henriette seine Werbung ablehnte, folgten unschöne Eifersuchtsszenen, jeder gegen jeden, und auch Äußerungen gegen Charlotte von Kalb wurden laut. Henriette beteuerte mir ihre Liebe, doch ich glaubte nicht mehr an ihre Schwüre. Es war zu spät! Zu viele unschöne Worte waren gefallen, zu viele Zweifel in meinem Kopfe gewachsen.
 
Wie ich später erfuhr, hatte sie noch lange unter der Trennung gelitten, denn ihre Empfindungen für mich waren aufrichtig gewesen. Sie heiratete später in Ostpreußen den Grafen von Kunheim, erst den Neffen, nach dessen Tod den Onkel und hatte mich wohl nie ganz vergessen können.


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