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Gartenhaus in Jena

Seit Tagen konnte ich wieder nicht schlafen und lief, den Wallenstein vor meinem geistigen Auge, bis in die frühen Morgen im Zimmer auf und ab, um den Krämpfen und der Atemnot zu entgehen, die sich im Moment häufiger einstellten.
 
Kaffee, Tee, Wein und Tabak brachten mich durch die endlosen Nachtstunden, und mein Schatten an der Wand wirkte im Schein der Kerzen wie ein Schreckgespenst, vor dem ich mich manchmal selbst fürchtete. Wieder hatte ich wegen meines üblen Befindens einige Tage verloren, an denen mir das Arbeiten unmöglich war.
 
Wie lange ich draußen den Himmel nicht mehr gesehen hatte, wusste ich nicht, doch fühlte ich mich trotz der zahlreichen Besuche isoliert und eingesperrt. Es drängte mich aus diesen vier Wänden hinaus in die freie Natur. Ich musste die Sonne auf meiner bleichen Haut spüren und meine Seele tief durchatmen lassen! Obwohl ich einerseits die frische Luft scheute, trieb mich ein unsagbares Verlangen zu ihr. Mein kranker Körper schrie förmlich nach einer Änderung, nach einer Kraftquelle. Ein Garten wäre der Jungbrunnen, der meiner Seele gut täte, und der auch die Existenz meiner Familie verbessern würde.
 
Lotte verlangte schon seit einiger Zeit sehnsüchtig danach, und für die Kinder wäre es ein idealer Ort zum Spielen und Toben gewesen.
 
Goethe besaß bereits ein Gartenhaus in den Weimarer Ilmwiesen und da sich anderweitig kein geeignetes Objekt bot, versuchte ich, das seinige zu mieten.
 
Er lehnte ab, weil es für unsere Zwecke zu klein gewesen wäre und nicht den nötigen Komfort bot, den wir für unseren Haushalt benötigten. Außerdem war es ein reines Sommerdomizil, das im Winter nicht bewohnt werden konnte. Da auch Christiane Vulpius mit dem Kinde oft in diesem Gartenhaus weilte, vor allem, wenn Goethe Besuch empfing, von dem sie nicht gesehen werden sollte, hätte er ihr mit einer Vermietung diesen zweckdienlichen Ort genommen.
 
Schon auf meine Bitte, Schwager und Schwägerin dort bis Ostern unterzubringen, reagierte er zögerlich und mit einem gewissen Widerwillen und empfahl sofort eine andere, bessere Unterkunft.
 
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Goethes Gartenhaus im Park in Weimar. Foto: Gisela Seidel
 



Nach der abschlägigen Antwort riet Goethe mir dazu, das Gartenhaus des verstorbenen Hofrates Schmidt käuflich zu erwerben, welches sich, weil in Stadtnähe gelegen, vorzüglich eignete. Die geforderten 1200 Taler besaß ich nicht, wollte aber den Plan keinesfalls aufgeben, denn das Haus lag in reizvoller, schöner Lage mit herrlicher Aussicht und hatte alle nur erdenklichen Vorzüge. So von meinem Vorhaben überzeugt, schrieb ich an Cotta und bat ihn um einen entsprechenden Vorschuss, da ich anderweitig das Geld nicht hätte leihen können. Meine Schwiegermutter hatte alle Gelder festgelegt und konnte deshalb nicht frei darüber verfügen.
 
Cotta half, und ich konnte am 16. März 1797 den Kaufvertrag abschließen. Das geräumige Haus lag vom Jenaer Marktplatz aus südwestlich, zwischen dem Engelgatter und Neutor an einer Schlucht, durch welche sich ein Teil des Leutrabaches um die Stadt zieht.
 
Von den oberen Stockwerken aus konnte man weit auf die wunderschöne Landschaft und die gegenüber liegenden Berge blicken. Das Wohnhaus lag inmitten des Gartengrundstückes, wo ich mir später, in der oberen Ecke mit Blick auf den Fluss, einen höher gelegenen einzelnen Raum bauen ließ, in dem ich während der Sommermonate bis spät in die Nacht ungestört arbeiten konnte. Dort drangen die Geräusche der Hauswirtschaft nicht störend zu mir hinauf.
 
Doch bis die gesamte Planung umgesetzt werden konnte, war es noch ein weiter Weg. Vor dem Umzug, den ich so bald wie möglich hinter mich bringen wollte, wurden nur die notwendigsten Arbeiten im Hause durchgeführt. Mit kindlicher Vorfreude dachte ich an die Sonne, deren wärmende Strahlen ich in der neuen Umgebung ständig genießen konnte. Schon vor unserem Einzug wagte ich einen Spaziergang zum Garten, in den wir schließlich am 2. Mai 1797 einzogen.
 
Ich genoss den ersten Abend auf meinem eigenen Grund und Boden in vollen Zügen, lauschte dem Gesang der Nachtigall und erlebte gemeinsam mit Lotte den Sonnenuntergang in herrlicher Landschaft. So sehr, wie ich früher jeden Luftzug gemieden hatte, so sehr empfand ich es jetzt als eine Wohltat, den Wind auf meiner Haut spüren zu können. Schon in den ersten Tagen ging ich manche Stunde und bei jedem Wetter im Garten spazieren.
 
Alles war viel heiterer um mich und auch Lotte und meine Dresdener Freunde, die sich zur Zeit in Loschwitz aufhielten, freuten sich mit mir über den Gartenkauf und erhofften sich dadurch einen guten Einfluss auf meine Gesundheit.
 
Da ich verschiedene Umbaupläne ins Auge gefasst hatte, so unter anderem ein separates Haus für Küche und Bad und auch das Einzelzimmer für mich, richtete ich meine Bitte um Hilfe an Wilhelm von Wolzogen, der mir aufgrund seines Architekturstudiums, als fachlich versierter Ratgeber geeignet schien. Er riet mir aufgrund des schon fortgeschrittenen Jahres dringend von meinen Bauplänen ab, weil die neu zu bauenden Mauern austrocknen mussten, was in der bevorstehenden kalten und nassen Jahreszeit jedoch nicht mehr möglich sein würde. Deshalb verschob ich die Umbauarbeiten auf das nächste Jahr. Lediglich die Gartenseite des Hauses ließ ich unterschwellen und eine der Gartenhütten zu einer massiv gebauten Küche umbauen.
 
Ich musste ihm Recht geben, als er mir zu bedenken gab, dass ich mir die Ruhe der Sommermonate mit Baulärm und anderen Unannehmlichkeiten nehmen würde. So begannen die eigentlichen Bauarbeiten erst im Februar 1798.
 
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Schillers Gartenhaus in Jena. 1797; sitzend von links: unbekannt, Caroline von Beulwitz, Charlotte Schiller mit Sohn Karl, Herder, unbekannt, Caroline von Dachroeden u.a, Schiller; stehend von links: Geothe, Wieland, Wilhelm und Alexander von Humboldt.
 




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